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Die Reform der Krankenhauslandschaft steht - wie den diversen Veröffentlichungen zu entnehmen ist, Raum. Wir wollen eine Veränderung die den Menschen dient. Eine Veränderung die nicht mehr allein den Gesetzen des Marktes und damit der Gewinnmaximierung unterworfen ist. Wir wollen eine Krankenhauslandschaft die dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Eine Krankenhauslandschaft die von den heutigen Missständen hin zu einer gewünschten Veränderung im Sinne des Gemeinwohls führt, wie sie so trefflich von Heribert Prantl in seiner nachstehenden Kolumne beschrieben wird. Das beschriebene Ziel, die zukünftige Arbeit der Krankenhäuser dem Gemeinwohl unterzuordnen, ist auch unsere Position. 

Medizin: Der Markt heilt die Kranken nicht

Revolution und Gegenrevolution im Gesundheitswesen: Warum in den Kliniken die Wiederentdeckung des Gemeinwohls so wichtig ist.

Kolumne von Heribert Prantl

"Lieber Herr Professor", so begann der Geschäftsführer der Klinik sein Jahresgespräch mit dem Chefarzt, "bei siebzig Prozent der Patienten konnten wir einen Gewinn erzielen; bei dreißig Prozent haben wir jedoch deutlich rote Zahlen geschrieben. Ich freue mich, dass wir trotzdem insgesamt ein kleines Plus erwirtschaftet haben." Beim Chefarzt stellte sich Erleichterung ein. Doch dann fuhr der Geschäftsführer fort: "Bevor Sie wieder gehen, lieber Professor, nennen Sie mir bitte noch ein wirtschaftliches Argument, warum ich jene dreißig Prozent Verlustpatienten - wir beide wissen, welche Krankheiten sie haben - im neuen Jahr noch aufnehmen und behandeln soll." Zunächst etwas irritiert, aber dann sehr bestimmt antwortete der Chefarzt: "Das wirtschaftliche Argument bin ich! In dem Augenblick, in dem Sie das machen, kündige ich." Die Szene stammt aus den ersten Jahren nach der Einführung der Fallpauschale.

Heribert PrantlDiese Fallpauschale wird jetzt zwanzig Jahre alt. Sie war damals eine Reaktion auf die oft unnötig lange Verweildauer von Patienten in den Kliniken, die mit möglichst vielen Tagessätzen ihre Einnahmen mehrten. Doch es wurde die eine Malaise durch eine noch größere abgelöst, das Krankenhaus wurde jetzt erst so richtig zum Geschäftsmodell; Fallzahlen wurden in die Höhe getrieben, die Apparate-Medizin favorisiert, Liegezeiten verkürzt, Bettenkapazitäten nach der Just-in-time-Logik berechnet. Die Ökonomisierung der Medizin ist noch weiter vorangeschritten seitdem; der aufrechte Chefarzt von damals beobachtet aus dem Ruhestand, wie diese Ökonomisierung nun in ein galoppierendes Stadium übergeht. Aus der medizinischen Daseinsvorsorge ist Investoren-Medizin geworden, nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch in ärztlichen Praxen: Internationale Finanzinvestoren steigen immer massiver ins nationale Gesundheitswesen ein, Private Equity greift zu.

Manchmal besteht ärztliche Kunst auch darin abzuwarten und vorerst nichts zu tun

Arztpraxen werden neuerdings der Reihe nach von Kapitalbeteiligungsgesellschaften aufgekauft, von straff organisierten Praxiskonzernen übernommen und auf Gewinn getrimmt - indem dort mehr Patienten für mehr Geld schneller durchgeschleust und apparatetechnisch zack, zack behandelt werden. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sollen zu Profitcentern werden, dirigiert und ausgelastet vom Geschäftsführer Dr. Heuschreck. Diese Hedgefonds im Gesundheitswesen verstehen sich als Eigentümer auf Zeit, die ihr Investment möglichst profitabel weiterverkaufen wollen. Gesund ist das nicht. Junge Ärztinnen und Ärzte sind freilich gar nicht so abgeneigt, in solchen kommerzialisierten Versorgungszentren ihren angestellten Dienst zu tun - ohne Überstunden, gern Teilzeit, ohne organisatorische Belastungen, mit einer passablen Bezahlung und einer ordentlichen Work-Life-Balance.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat nun eine Revolution im Gesundheitswesen angekündigt. Es handelt sich nicht um eine Revolution, sondern um eine Gegenrevolution, er will die Kapitalisierung der Medizin stoppen. Vor zwanzig Jahren hat er selbst noch daran mitgewirkt: Damals half er als Staatssekretär dabei, das Fallpauschalensystem in den Kliniken einzuführen. Jetzt erschrickt er vor den Folgen, jetzt ergeht es ihm wie dem Zauberlehrling. Er hat angekündigt, den Einstieg dieser Heuschrecken in Arztpraxen gesetzlich zu unterbinden. Überhaupt habe man es, so sagte er zuletzt, als ein katastrophaler Mangel an Fiebersaft die Eltern kranker Kinder empörte, mit der Ökonomisierung in der Medizin übertrieben. Der Preiskampf um Arzneien hat in der Tat dazu geführt, dass nur bei den billigsten Generika-Herstellern geordert wird. Die Folge: Achtzig Prozent aller Antibiotika-Wirkstoffe hierzulande stammen aus China. Diese Abhängigkeit rächt sich. Die Kinder haben Fieber, der Kapitalismus im Gesundheitswesen hat es auch.

Nun muss man nicht so tun, als ob bis gestern das Gesundheitswesen nur von bedürfnislosen Samaritern bevölkert gewesen wäre und als ob nun jüngst eine feindliche Übernahme durch Leute stattgefunden habe, die mit ihrem schweren Geldbeutel auf Kranke werfen. Natürlich ist im Gesundheitswesen auch immer verdient worden. Aber die Kommerzialisierung ist mehr als nur bloße Wirtschaftlichkeit, und sie wurde noch nie so weit getrieben wie heute. Es etabliert sich eine kombinierte Schnäppchen- und Hamsterrad-Medizin, apparateauslastend und profitorientiert. Die Aktionäre wollen Gewinne sehen, zweistellige am besten. Für Kranke sind aber Faktoren wichtig, die in betriebswirtschaftlichen Programmen keine Rolle spielen und mit denen sich solche Gewinne nicht machen lassen: Zeit, Vertrauen, Geborgenheit. Manchmal besteht ärztliche Kunst auch darin abzuwarten und vorerst nichts zu tun; diese Kunst lässt sich nicht betriebswirtschaftlich optimieren. Die Medizin ist zwar einer der größten Wirtschaftsfaktoren, aber keine Wirtschaftsbranche wie jede andere. Der Markt heilt die Kranken nicht.

Die Würde des Menschen ist unantastbar: Kliniken und Arztpraxen gehören zu den wichtigsten Orten, an denen sich dieser Grundgesetz-Satz bewähren muss. Nirgendwo sonst werden die Menschen so viel angetastet. Der Unantastbarkeits-Satz bewährt sich hier dann, wenn die Kranken im Vordergrund stehen und nicht die Abläufe, wenn die Fürsorge das Wichtigste ist und nicht der Profit. Und er bewährt sich dann, wenn der Leiter der Notaufnahme einen Obdachlosen aufnehmen kann, ohne dann einen mahnenden Anruf vom Geschäftsführer zu kriegen: "Das machen Sie bitte nicht noch mal."

Das Gesundheitswesen ist für das Gemeinwohl da, nicht für den Aktienindex. Es darf keine Gesundheitsindustrie sein, in der es darum geht, dass Geld gemacht wird und die Versorgung von Kranken nur ein Mittel ist zu diesem Zweck. Um die Würde des Menschen geht es im Gesundheitswesen, um die Würde im Leben und im Sterben. Jede Reform muss sie achten und schützen. Eine gemeinwohlorientierte Gesundheitspolitik gehört zur Basispolitik der Demokratie. Sie betrachtet den Menschen nicht als einen Kunden, der zum Einkaufen von Gesundheitsleistungen kommt, sondern als Patienten - als jemanden also, der in Krankheit Hilfe sucht und Hilfe bekommen soll, und zwar ohne dabei geschröpft zu werden.

Kaiser Joseph II., ein Sohn der Kaiserin Maria Theresia, hat einst im Foyer der im Jahr 1784 in Wien neu errichteten Frauenklinik eine Tafel mit der Aufschrift anbringen lassen: "In diesem Haus sollen die Patienten geheilt und getröstet werden." Wir brauchen viele solcher Tafeln. Wir brauchen den Geist und das Denken, das in diesen Worten steckt.

(Urheberrecht: Heribert Prantl „Süddeutsche Zeitung“)


   
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